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Die Sonnengängerinnen

Die Sonnengängerinnen

Ein Künstlerinnenfest der geometrischen Abstraktion im Wilhelm Hack Museum in Ludwigshafen

« La femme est l’avenir de l’homme, » so lautet der Anfang eines populären Chansons in Frankreich – und es kommt einem nach einem ersten Durchgang durch die furiose Ausstellung der abstrakt-konstruktivistischen Werke von Künstlerinnen des beginnenden 20. Jahrhunderts bis heute im Wilhelm Hack Museum in Ludwigshafen in den Sinn. Die Überzeugung der beiden Kuratorinnen Astrid Ihle und Julia Nebenführ ist, dass diese Frauen den Männern mindestens ebenbürtig waren und sie in manchen Fällen sogar überflügelten.

Sophie Taeuber-Arp: Equilibre, 1932, Öl auf Leinwand, Louisiana Museum of Modern Art Humlebaeck

Und hier kommt gleich ein Seufzer: Es wurde zwar das schöne Bild „Équilibre“ (1932) von Sophie Taeuber Arp in die Ausstellung aufgenommen, aber ihre revolutionäre Dekoration von vier Sälen der „Aubette“ in Straßburg (Place Kléber) kommt leider nicht als Abbildung vor. Dieses Militärgebäude aus dem 18. Jahrhundert wäre für einen Abbruch prädestiniert gewesen wäre, hätte es nicht zwei für die moderne Kunst begeisterte Brüder aus Mulhouse (Paul und André Horn), gegeben, die den Umbau des vierstöckigen Gebäudes zu einem Kunsttempel finanzierten. Ihre Anfrage richteten sie an Theo van Doesburg, der ihnen für die Aufgabe Sophie Taeuber Arp vorstellte, da er ihre Kunst schätzte und sie zudem in Straßburg wohnte – denn ihr Mann, der Bildhauer Jean Arp, war gebürtiger Straßburger.

Gleich vier Räumlichkeiten sollten von Sophie Tauber-Arp, wie im Vertrag aus dem Jahr 1928 festgehalten, bearbeitet werden: zunächst die Aubette Bar, die Foyer Bar, der Teesalon Five O’Clock und dann auch der Billard Raum. Dabei hatte sie sich auch um Mobiliar und Beleuchtung zu kümmern – anders gesagt, sie hatte weitgehend freie Hand. Und sie verstand es, diese Chance grandios zu nutzen. Die restlichen Räume im Gebäude wurden von Theo Van Doesburg sowie von Jean Arp gestaltet.

1938 wurde der gesamte Komplex überstrichen bzw. abgedeckt, da abstrakte Kunst nicht mehr «up to date » war: Erst in den 1960 Jahren erinnerte man sich, welche Schätze in der Aubette versteckt waren, und ordnete die Wiederherstellung dieses einmaligen Kunstkomplexes an. 2006, endlich grunderneuert, wurden sie in die Obhut des Musée d’Art Moderne in Strasbourg gegeben.

Allseitig begabt, brillierte Sophie Taeuber Arp auch als Architektin, Bildhauerin und Textil-Gestalterin sowie als eine wichtige Protagonistin des Dadaismus. Man konnte sie ebenfalls in dem berühmten “Cabaret Voltaire“ als Mitwirkende antreffen. Neben ihrer Zeit als Künstlerin begann sie 1915 noch eine Tanzausbildung und wurde auf den berühmten Monte Verità (bei Ascona) geladen, wo sie zusammen mit Mary Wigman und Katja Wulf auftrat.

Ab Mai 1916 leitete sie die Textilklasse an der Kunstgewerbeschule in Zürich, wo sie sich bis 1929 bemühte, die Grenzen zwischen den Kunstgattungen einzureißen. Sie war es auch, die diese zwölf Jahre lang den Lebensunterhalt der Familie bestritt und dabei den „konstruktivistischen“ Prinzipien treu blieb – bis zu ihrem tragischen Tod (sie erlag 1943 in Max Bills Gartens in Ulm durch einen falsch bedienten Heizofen einer Kohlenmonoxid-Vergiftung). Und sie hinterließ ein umfangreiches künstlerisches Erbe.

Den zweiten bemerkenswerten Part im Hack Museum bestreiten die großen Repräsentantinnen der Russischen Avantgarde: Ljubow Popowa, Alexandra Exter und Olga Rosanova sind für regelmäßige Besucher keine Unbekannten. Das Museum besitzt selbst Bilder dieser drei Künstlerinnen und präsentierte sie oft bei Ausstellungen über die Anfänge der Modernen Kunst des 20. Jahrhunderts.

Ljubov Popova: Komposition, ca. 1918, Wilhelm-Hack-Museum

In Moskau gerieten diese jungen Frauen schon zu Beginn der revolutionären Umgestaltung des künstlerischen Lebens – also unmittelbar nach der Konstitution neuer Strukturen in den damaligen Kulturinstitutionen – sehr schnell in die vordere Reihe: nicht nur in den Bildenden Künsten, sondern auch im Theater und Film, wo sie sich sowohl um die Kostüme wie auch um die Dekoration kümmerten. Die damalige Kritik (vor allem Vladimir Sklovskij) haben schnell Elemente der Volkskunst in den verschiedenen Theaterdekorationen entdeckt, und diese als wesentliches Merkmal der „neuen sozialistischen Kunst“ ausgemacht.

Nichtsdestoweniger blieb für junge Künstler nicht Moskau, sondern neben Berlin vor allem Paris der wichtigste Sehnsuchtsort der modernen Kunst. Die 1910er Jahre markierten grundlegende Umwälzungen in Richtung neuer Strömungen vor allem in der Malerei und in der Bildenden Kunst. Guillaume Apollinaire – Dichter und Kunsttheoretiker – gehörte zu den ersten Befūrwortern der Arbeiten, die in den Ateliers von Picasso, Georges Braque oder auch anderer Künstler am Montmartre entstanden, und sorgte dafür, dass auch junge Emigranten davon erfuhren.

Einer derjenigen, die sich ganz der Farbe und der Geometrie verschrieben hatte, war der junge Robert Delaunay. Mit vier Jahren sah er, wie der Eifelturm gebaut wurde – ein Monument, das später in seiner Malerei eine große Rolle spielen würde. Besonders zwischen 1912 und 1914 hat er für seine Freunde – die Dichter Guillaume Apollinaire und Blaise Cendrars, die russischen Maler Vassily Kandinski und Michel Larionov, und auch für die deutschen Maler August Macke und Franz Marc ständig neue Varianten des Ausblicks aus seinen Fenstern auf den Eifelturm parat gehabt ….

Anfang 1909 traf er eine junge Russin: Sonia Terk. 1910 heirateten sie, und eine unglaubliche künstlerische Mitarbeit und Symbiose begann. Sonia brachte ihm bei, wie sich warme Farben in der Malerei verwenden lassen. 1912 kreieren die beiden den Orphismus, eine Art simultaner Korrespondenz von Farben. Bald etablieren sie das Gesetz des Simultaneismus, das auf einem gleichzeitigen (simultanem) Farbkontrast fußt. Außerdem übersetzt Sonia, die fließend Deutsch spricht, für ihren Mann Vassili Kandinskys Abhandlung über Das Geistige in der Kunst, die für Robert eine Quelle eines intensiven Studiums und dann auch tiefer Freundschaft mit Kandinsky wird.

Sonia Delaunay verstand sofort, was Orphismus und Simultaneismus auch außerhalb der Malerei bedeuten könnten. Sie begann farbige Stoffe und ihre eigene Modekollektion zu entwerfen.  1925 wurde sie zur Ausstellung „Des Arts décoratifs“ eingeladen. Nach der surrealistischen Periode, in der beide aktiv waren, kehrte Robert Delaunay zum Orphismus zurück, diesmal in einer abstrakten Variante, in der er unter dem Titel „Rhythmus“ neue Materialien in der Malerei erprobt. Sonia assistierte bei diesen Entwicklungen und setzte sie auch in n eigenen Kreationen um. Über 2000  Gouachen, die sie als Vorlagen für ihre Modekreationen schuf, zeugen von der unglaublichen kreativen Kraft dieser Frau. Sie war auch die erste Frau, die zu Lebzeiten eine Retrospektive im Pariser Louvre erhielt. Der Titel der Ausstellung im Hack-Museum greift ein schönes Zitat aus ihrer Autobiographie  auf: „Wir werden bis zur Sonne gehen.“

Der Krux mit dem Bauhaus

Bei der Gründung des Staatlichen Bauhauses in Weimar 1919 wollte der damalige Direktor Walter Gropius eine Ausbildung „…ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht“. Für den Lehrkörper galt dies nicht. Gunta Stötzl war vor der Schließung durch die NSDAP 1933 die letzte Meisterin in der Weberei und auch die einzige künstlerische Leiterin am Bauhaus.

Die Kuratorinnen der Ausstellung haben dennoch eine beeindruckende Vielfalt von Dokumenten und Arbeiten aus den „weiblichen“ Klassen zusammengetragen, und das ist nicht nur der Webereiklasse (deren wunderbaren Aufschwung haben die „Schülerinnen“ Anni Weber zu verdanken, die unter ihrem Lehrer, Paul Klee, wunderschön gewebten Wandbehänge, die eher wie Tableaux aussehen, entworfen hatte).

Neben der Weberei ist es auch die Keramik-Werkstatt, die mit Margarete Heymann-Loebenstein eine wunderbare Serie vom Keramikkunstwerk hervorbrachte. Sie hatte bei Johannes Itten und Paul Klee studiert. 1933 musste sie ihre Firma verkaufen und ins Londoner Exil flüchten.

Eine Reihe von Frauen hatte später auch international Erfolg, nachdem sie nicht mehr am Bauhaus tätig waren: etwa Lucia Moholy-Nagy an der Seite ihres Mannes Laszló oder Florence Henri in der Photographie. Einige wirkten an Theatern mit, als Bühnenbildnerin als Regieassistentin, und trugen dazu bei, etwa den Erfolg der Ballet Russes zunächst in Paris und dann in ganz Europa zu begründen: Ljubow Popowa, Olga Rosanowa, Alexandra Exter (ihr Anteil am Erfolg einiger Inszenierungen war noch in den 1960er Jahren in der französischen Theaterszene legendär), Warwara Stepanowa, Xania Ender.

             Näher an uns findet man bei der neuen Generation interessante Beiträge zur ungegenständlichen Kunst, etwa von Vera Molnar, die mit der Computertechnik zu arbeiten begann und die von der Galerie Linde Hollinger in Ladenburg vertreten. Das gleiche gilt fürAurélie Nemours oder Verena Loewensberg.

             Die Kuratorinnen des Wilhelm Hack Museums haben auch über den Ozean geschaut und Künstlerinnen wie Lygia Clark, Lidy Prati und Lodo Soldevilla aus Südamerika nach Ludwigshafen eingeladen, die auf ihre eigene Weise die konstruktiv-abstrakte Kunst bereicherten…..

Diese wunderbare Ausstellung ergänzt die große Schau „Elles font de l’abstraction“, die im Pariser Centre Pompidou und im Museo Guggenheim in Bilbao vor zwei bzw. drei Jahren zu sehen war.  

„Wir werden bis zur Sonne gehen“, Pionierinnen der geometrischen Abstraktion, Wilhelm Hack Museum Ludwigshafen, bis 21.4.2025, der Katalog im HIRMER VERLAG kostet 55,00 Euro.



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